Für das Halbfinale bin ich nach Belo Horizonte geflogen. Am Dienstag morgen hat mein Wecker mich um sechs Uhr aus dem Bett geschmissen. Schnell alles gepackt, meinen Schlüssel für mein Apartment in Santa Teresa abgegeben und mit dem Taxi zum Innenstadtflughafen Santos Dumont gefahren. Nach ca. einer Stunde Flugzeit bin ich auch schon in Belo Horizonte gelandet, wo es angenehme 22°C hatte und nicht ganz so schwül wie in Rio de Janeiro war. Habe mir noch gedacht, dass es heute sicherlich nicht an den Temperaturen liegen könnte, sollte Brasilien uns aus dem Turnier kicken, doch solcherlei Gedanken waren wohl überflüssig.
Irgendwie bin ich auch mit einem gemischten Gefühl nach Belo Horizonte geflogen. Einerseits wünschte ich mir natürlich, dass Deutschland den Finaleinzug schafft, andererseits hätte ich es auch Brasilien gegönnt, zumal es in diesem Fall der genialen und fröhlichen Stimmung keinen Abbruch getan hätte.
Mit dem Bus bin ich schließlich in die Innenstadt gefahren. Der Flughafen befindet sich ca. 50 Kilometer außerhalb der Stadt, die Fahrt nach Belo Horizonte dauerte etwa eine Stunde. Da es auf dem Stadtplan so aussah, als hätte ich keinen allzu weiten Weg bis zum meinem Hostel in Santa Tereza zu überwinden, habe ich auf ein Taxi verzichtet. Zu dem Zeitpunkt wusste ich aber auch noch nicht, dass Belo Horizonte eine extrem hügelige Stadt (hoch, runter, hoch, runter, hoch, runter) mit extrem schlecht gepflasterten Wegen ist. Überall Schlaglöcher, ständig wechselt der Bodenbelag und es gibt kaum Bürgersteigabsenkungen, wenn man die Straßen überqueren muss. Da ich mit einer riesigen und vollgepackten Reisetasche nach Brasilien angereist bin, in der mein komplettes Hab und Gut der letzten zwei Monate untergebracht ist, habe ich innerlich schnell geflucht und nicht minder geschwitzt. Doch jetzt wollte mich auch kein Taxi mehr mitnehmen. Das lohne sich für sie nicht, sagten mir die Taxifahrer…
Nach einer Stunde und mehrerer Pausen bin ich dann endlich im Hostel angekommen. Die Frau an der Rezeption hat zwar kein Englisch gesprochen und mich nicht so richtig verstanden, als ich meinte, dass ich erst einen Bankautomaten bräuchte, bevor ich bezahlen kann, doch zum Glück gibts ja Google Translate. Scheint das Mittel der Wahl in Brasilien zu sein, wo kaum jemand Englisch spricht, weil man in der Schule dafür zahlen muss und somit nur Privilegierte die Chance erhalten, eine Weltsprache zu lernen. Nach einer sehr wohltuenden kühlen Dusche wurde ich auch schon von einem brasilianischen Kumpel (und seiner Freundin) abgeholt, den ich noch aus meiner Schulzeit kenne:
Denn Douglas war eines dieser privilegierten Kinder und hatte die Möglichkeit, während seiner Schulausbildung für ein Jahr nach Deutschland zu kommen und eine fremde Sprache zu lernen. Ich kann mich noch erinnern, als er damals in der elften Klasse zu uns kam und kein Wort Deutsch sprach. Wir haben uns irgendwie auf Englisch und wenn das nichts half mit Händen und Füßen verständigt. Nach einem Jahr war sein Deutsch jedoch fließend und er ist zurück nach Brasilien gegangen. Jetzt, 12 Jahre später traf ich ihn also wieder, dieses Mal in seiner Heimat.
Im Szeneviertel Savassi von Belo Horizonte trafen wir Douglas Bruder + Freundin, seine Schwester + Freund und seinen Cousin + Freundin. Nach einem leckeren Essen gingen wir zu einem zentralen Platz mit Public Viewing, der sich auch schnell fühlte. Überall feiernde Brasilianer und ich mitten drin. Deutsche waren nur vereinzelt zu sehen. Die meisten befanden sich wohl im Stadion und feuerten dort das DFB-Team an. Als es dann los ging und die brasilianische Nationalhymne angestimmt wurde, sang jeder Brasilianer aus voller Inbrunst mit. Das war schon beeindruckend und ich fühlte mich in dieser Menschenmasse richtig klein. Als dann das erste Tor für Deutschland fiel, jubelte ich noch ausgelassen. Einige Brasilianer beglückwünschten mich und schlugen mit mir ein. Dann erzählte ich Douglas noch, dass Klose ja eigentlich auch noch ein Tor bräuchte, um den Torschützenrekord bei der Fußball WM von Ronaldo einzustellen. Ungefähr eine Minute später war der Ball wieder im Netz. Der Schütze: Miroslav Klose. Auch jetzt jubelte ich noch. Doch als dann im Minutentakt die Tore 3, 4 und 5 fielen, wurde ich immer ruhiger. Der Jubel blieb aus und mir war es mittlerweile schon unangenehm, was da passierte. Mir taten die Brasilianer richtig leid, die langsam realisierten, dass der Traum vom sechsten WM-Titel für sie ausgeträumt ist. Einige brasilianische Fans machten sich bereits auf den Nachhauseweg und auch Douglas und seine Familie + Freunde entschieden, dass es vielleicht besser wäre, die zweite Halbzeit bei ihnen zu Hause weiter zu gucken. Er befürchtete Randale von aufgebrachten Fans, die es später tatsächlich auch gab, jedoch schnell von der Polizei unter Kontrolle gebracht wurde. Wir haben also den Rest des Abends gemütlich bei Douglas zu Hause verbracht, uns nett unterhalten, in alten Zeiten geschwelgt und mit viel lokalem Bier auf den deutschen Sieg angestoßen. Von jetzt an würden sie Deutschland unterstützen, hoffentlich in einem Finale gegen Argentinien. Dann stünde das ganze Land hinter dem deutschen Team, versprachen mir Douglas und seine Freunde.
Am nächsten Tag berichteten mir einige Deutsche, dass sie auf der Straße zwar direkt keine Probleme hatten. Einige Brasilianer hätten ihnen sogar gratuliert und ihnen viel Glück fürs Finale gewünscht. Doch aus vorbeifahrenden Autos wären ihnen immer wieder Beleidigungen entgegengerufen worden. Auch hätten sie Probleme gehabt, ein Taxi anzuhalten, das dann lieber 50 Meter weiter eine Gruppe von Brasilianern mitgenommen habe. Ich habe derartige Erfahrungen zum Glück nicht gemacht und habe in den letzten Tagen immer wieder Brasilianer in Deutschlandtrikots gesehen. Jetzt hat Deutschland im Finale gegen Argentinien die einmalige Chance, dem Gastgeber der WM 2014 doch noch eine Freude zu bereiten. Das „Einzige“ was wir dafür tun müssen, ist den vierten Stern zu holen und somit zu verhindern, dass Brasiliens Erzrivale Argentinien bei ihnen zu Hause den Titel holt.